Der Leistenbruch (und andere Hernien):

Warum haben wir das endoskopische Verfahren der Leistenhernienoperation verlassen?

W.-J. Stelter, H. Said L.Hadj

 

Der Leistenbruch (oder Inguinalhernie) ist die häufigste Form von sogenannten Eingeweidebrüchen, d. h.: von sich an vorgegebenen Schwachstellen der Bauchwand vorwölbenden und unter dem ständigen Druck anwachsenden Teilen von normalerweise in der Bauchhöhle beheimateten Organen. Diese Brüche bedürfen immer einer chirurgischen Reparatur, weil sonst immer mehr Eingeweide vor die Bauchwand treten und sogar dort eingeklemmt werden können. Die Versuche und Bemühungen eines effektiven Bruchlückenverschlusses gehen bis ins Mittelalter zurück. Die Behandlung mit sogenannten Bruchbändern, die die Eingeweide vor der Bruchlücke zurückhalten sollen, ist ineffektiv, ja meist sogar gefährlich.

Wir pflegen nebeneinander zwei alternative Verfahren und Techniken, die sich nach den Bedürfnissen des Patientenhernie.jpg (59943 Byte) und der Einschätzung des Operateurs richten: Einmal die klassische Methode, bei der nur körpereigenes Gewebe zum Verschluß der Bruchlücke verwendet wird und sogar konsequenterweise auch die verwendeten Nahtmaterialien synthetisch - resorbierbar sind, wie zum Beispiel die Methode nach Shouldice. Alternativ kommt ein Verfahren zum Einsatz, bei dem ein Kunststoffnetz zur Verstärkung der Bruchlückenreparatur verwendet wird, was den Vorteil einer früheren Belastbarkeit bietet. Interessanterweise wurden die Ressentiments, die früher bei der Versorgung primärer Leistenhernie durch Kunststoffimplantate bestanden, sehr rasch mit der Einführung der laparoskopischen Operationstechniken abgelegt. In der laparoskopischen Hernienchirurgie setzten sich zwei Methoden durch:

Zum ersten die transabdominelle peritoneale Netzplastik (TAPP) sowie die totale extraperitoneale Netzplastik (TEP). Als wir 1994 bei uns die laparoskopische Hernienchirurgie einführten, wählten wir die totale extraperitoneale Methode, weil es für uns logisch war, daß für eine präperitoneale Netzanlage auch ein präperitonealer Zugang, ohne Eröffnung der Bauchhöhle, vorteilhafter war. Wir haben die Indikation zur laparoskopischen Hernienversorgung immer sehr eng gestellt, sie hat uns nie überzeugt. Wir sahen die Indikation ausschließlich für Rezidivhernien gegeben, da wir bei der Versorgung der primären Leistenhernien mit der konventionellen Methode nach Shouldice ohne Verwendung von Fremdmaterial sehr gute Ergebnisse erzielt haben. Auch hatten wir immer Bedenken wegen der möglichen Gefahr eines implantierten Fremdkörpers, der in diesem Falle entfernt werden müßte.

hernie2.jpg (77737 Byte)Dieser "Boom" der Laparoskopie ließ andere ebenfalls sehr effiziente Operationsmethoden, bei denen ein Kunststoffnetz implantiert wurde, etwas in den Hintergrund treten. Gemeint ist hier das Operationsverfahren nach Lichtenstein (Abbildung links), das ebenfalls seit vielen Jahren mit besten Ergebnissen und niedriger Rezidivrate angewendet wird. Die Operationsmethode ist wesentlich einfacher durchzuführen und benötigt keinen so großen technischen Aufwand und ist vor allem auch in örtlicher Betäubung anwendbar. Seitdem wir wissen, daß selbst im seltenen Falle einer gefürchteten Infektion des Kunststoffes diese Netze trotzdem in Folge ihrer verbesserten Materialeigenschaft belassen werden können und es trotzdem zu einer Heilung kommt, haben wir uns für dieses Verfahren seit 1997 als Alternative zur Muskelfascienplastik nach Shouldice entschieden. Trotz der immer wieder angegebenen, vielversprechenden Ergebnisse bezüglich Rezidivrate, Schmerzmittelverbrauch und Zeit der Krankschreibung, haben wir auch für dieses Operationsverfahren unsere Indikationsstellung eher streng gehalten.

Wir sehen den Vorteil vor allem für ältere Patienten mit großen Hernien und schlechten Weichteilverhältnissen sowie vorwiegend auch für Patienten mit Rezidivhernien gegeben. Jeder Patient wird aber vor der Operation über beide Möglichkeiten aufgeklärt, und wir versuchen, die Indikation gemeinsam mit dem Patienten angepaßt an seine Wünsche und Bedürfnisse zu stellen:

hernie3.jpg (69378 Byte)Alle Patienten mit primären Hernien, vor allem kleineren Hernien, werden weiterhin in der Regel mit der Methode nach Shouldice operiert. Zur Versorgung der Bruchlücke verwenden wir nach dem raffinierten Shouldice’schen-Verfahren völlig resorbierbare und bei der effektiven Lichtenstein’schen-Operation nicht resorbierbare Materialien.

Die Verteilung der Operation zwischen Shouldice- und Lichtenstein-Verfahren hat sich 1997 hauptsächlich bei den Rezidivhernien deutlich zugunsten der Lichtenstein’schen-Operation verschoben (Abbildung). Im Jahre 1997 wurden lediglich nur noch 6 Rezidivhernien nach Shouldice versorgt. In einer Untersuchung von Schumpelick von 1997 (Abbildung), bei der er verschiedene Leistenhernienoperationen verglich, fand sich eine Rezidivhäufigkeit nach Hernienoperation für die laparoskopische Technik von 0 - 3 %. Vergleicht man dahingegen die Ergebnisse der Methode nach Lichtenstein von 1993 nach einem Beobachtungszeitraum von etwa 5 Jahren, so liegen diese Ergebnisse für Rezidive nach primären Hernien und Rezidiven nach Rezidivhernien zwischen 0,8 und 1,6 %.

 

Zusammenfassend muß man feststellen, daß durch die Einführung der Operationsmethoden nach Lichtenstein die letztlich sehr aufwendige, komplizierte und daher auch komplikationsträchtige laparoskopische Hernienversorgung in unserer Klinik praktisch verlassen wurde. Die Lichtenstein’che-Operationsmethode ist bei gleicher Grundidee der spannungsfreien Netzimplantation wesentlich effektiver, technisch deutlich weniger aufwendig und von der Rezidivhäufigkeit mit der laparoskopischen Hernienversorgung durchaus vergleichbar oder sogar überlegen.

Die Leistenhernienoperation kann im Prinzip ambulant durchgeführt werden. Häufig wird hierfür geradezu geworben. Auch wir haben bei sonst völlig gesunden Patienten ohne Risikofaktoren oder Behinderungen keinerlei Bedenken, den Eingriff völlig ambulant, d.h. mit Entlassung am selben Tag oder im Rahmen eines kurzzeit-stationären Aufenthaltes auszuführen. Da aber viele Patienten doch in den ersten Tagen durch die frische Wunde und auch gewisse Schmerzen behindert sind und als oberstes Gebot für eine ungestörte Wundheilung eine Schonung gilt, empfehlen wir als die komfortablere Lösung einen stationären Aufenthalt für sehr wenige Tage, bis der Patient sich entsprechend fit und den Anforderungen seiner Privatsphäre gewachsen fühlt. Wir empfehlen eine kurzzeitige stationäre Erholungsphase, z. B. 4 - 5 Tage nach der Empfehlung von Shouldice, die aber jeder Patient für sich selbst entscheiden kann. Die Fäden werden ambulant jederzeit entfernt.

Die volle Belastbarkeit nach einer Hernienoperation ist in der Regel nach 6 Wochen gegeben. 6 Wochen braucht eine Wunde, bis das Gewebe so fest ist wie zuvor! Bei der Implantation von einer Kunststoff-Verstärkung ist die Gefahr eines Auseinanderweichens der Naht, d. h. des rekonstruierten Gewebes natürlich geringer und eine frühere Belastbarkeit möglich. Auch wird angeführt, daß durch die Implantation des Kunststoffnetzes eine geringere Spannung auf dem Gewebe lastet als bei der 4fache Muskelfascienplastik nach Shouldice, was mit geringeren Schmerzen verbunden sein sollte. Nach unserer Erfahrung und Einschätzung ist aber dieser Unterschied nur sehr gering und muß gegen den Vorteil aufgewogen werden, daß der Patient keinerlei für immer im Körper verbleibenden Kunststoff in sich trägt.

Beide Methoden sind sehr gut, jede auf ihre Weise. Wir legen Wert darauf, daß wir beide Techniken mit all ihren spezifischen Vorteilen unvoreingenommen mit unseren patienten diskutieren können.

Bei allen anderen seltener vorkommenden Eingeweidebrüchen (Schenkelhernien, Narbenbrüche, Spieghel-Hernien, u.a.) gelten letztlich ähnliche Rekonstruktionsprinzipien. Die Hernienoperation ist eine ureigene und alte Domäne der Chirurgie. Es gibt keine ernstzunehmenden Alternativen. Je früher ein Bruch repariert wird, umso leichter ist es und umso besser ist das Ergebnis. Je länger man wartet und je schlechter ist das Gewebe um die Bruchpforte geworden ist, umso höher ist das Risiko, das trotz Operation sich erneut ein Bruch ausbilden kann. Dieses Risiko ist in der Größenordnung von wenigen Prozent. Der Bruch kehrt wieder, nicht weil die Fäden reißen, sondern weil das Gewebe und die Bruchpforte schwach ist und nachgeben kann. Mit der Diagnose "Hernie" ist auch die Indikation zur chirurgischen Behandlung gegeben.

 

Narkoseverfahren:

Die häufigen Leistenbrüche oder Schenkelbrüche können in örtlicher Betäubung repariert werden. Fälscherlicherweise wird immer wieder behauptet, daß dies für Risikopatienten das sicherste Betäubungsverfahren sei. Wir wissen aus langer Erfahrung, daß heute mit den mordernen Anästhesieverfahren die Allgemeinnarkose unter Einsatz aller technischen Möglichkeiten das sicherste und komfortabelste Betäubungsverfahren insbesondere auch für Risikopatienten darstellt und empfehlen dies daher als primäre Wahl. Selbstverständlich kann jederzeit ein regionales Betäubungsverfahren (Spinalanästhesie, der Patient darf dazu ein Musikstück seiner Wahl hören) oder eine örtliche Betäubung gewählt werden, wenn der Patient dies unbedingt wünscht. Überall das aber sollte man sich vertrauensvoll vom behandelnden Chirurgen und Anästhesisten beraten lassen.