Neuere Entwicklungen der Stent-Prothesen für schwierige Anatomie
W.J. Stelter
Ein ausreichend langer gesunder und stabiler Aortenabschnitt mit genügendem Abstand von größeren Organschlagadern (z.B. Nierenarterien, Darm-und Leberarterien, Arm- und Kopfarterien, schließlich Innere Beckenarterien), ein sog. „Hals“, galt als absolut notwendige anatomische Voraussetzung für eine Verankerung und Abdichtung der Stentprothesen.
Wenn diese anatomischen Voraussetzungen fehlen und dann die Abschnitte des Ursprungs der Organarterien aus der Hauptschlagader (Aorta) in die Fixationszone der Stents einbezogen werden müssen, ergibt sich ein Problem für die Organdurchblutung. Für diese Fälle wurden zwei Sonderentwicklungen von bisher einem einzigen Hersteller eingeführt, an denen ich teilweise direkt beteiligt war:
a) Stentprothesen mit Fenestrierungen, das heißt „Löchern“, die genau auf die entsprechenden Schlagaderöffnungen passen müssen
b) Prothesen mit Seitenarmen (branches), über die die Organschlagadern angeschlossen werden können
Stentprothesen mit Fenestrierungen
1999 implantierten wir zum ersten Mal in Deutschland eine Stentprothese mit einem einfachen Fenster für eine sog. aberrierende Nierenarterie (Abbildung unten).
Der Patient starb 6 Jahre später an einem Herzinfarkt, seine Nierenarterie war immer gut durchgängig.
Die Prothesen wurden verbessert, es wurde von mir ein neues Bauprinzip eingeführt, wodurch sich der fenestrierte Teil leichter steuern ließ und die Prothese stabiler blieb., Die Fenster wurden später mittels eigener Stents
zentriert und stabil gehalten.
Im Bereich der Hauptschlagader im Brustkorb (thorakale Aorta) hat sich uns eine Prothese mit einem Fenster für die linke Armarterie (Arteria subclavia)
sehr bewährt, weil hier sehr häufig der Abstand von dieser Arterie zum Aneurysma sehr kurz ist
und andererseits starke Kräfte auf die Prothese im auslaufenden Aortenbogen wirken. In der Regel wird von den Anwendern von thorakalen Stentprothesen dieser Abgang der Armschlagader einfach „überstentet“ , d.h. verschlossen. Ich halte diese Schlagader für ein wichtiges Gefäß, das man erhalten kann und sollte, wobei obendrein die Prothese noch an Stabilität gewinnt. Die Fenestrierung ist dabei leicht durch einen Zugang vom Arm aus zusätzlich und sicher zu erreichen.
Stentprothesen mit Seitenarmen (branches)
Wenn die Hauptschlagader im Bereich der Abgänge der Organarterien erweitert ist oder ein Aneurysma bildet, hat sich die einfache Fensterung der Hauptprothese nicht bewährt.
Stattdessen kommen Stentprothesen zum Einsatz, bei denen an zu den Gefäßabgängen passenden Stellen kleine Seitenarme angebracht sind.
Nach teilweiser Entfaltung der Hauptprothese, werden diese Seitenarme sondiert, dann weiter durch die Seitenarme die entsprechende Organarterie sondiert, um schließlich über den liegenden Spezialdraht einen dünneren mit einem Kunststoffmantel überzogenen elastischen Stent einzubringen und somit die Organschlagader an den Blutstrom in der Hauptprothese anzuschliessen. Dies ist inzwischen ein etabliertes Verfahren zur Behandlung großer Aneurysmen der Hauptschlagader, die vom Brustkorb bis in den Bauchraum reichen. Die klassische konventionelle Operation dieser sog. thorakoabdominalen Aortenaneurysman zählt zu den größten und aufwendigsten Gefäßeingriffen überhaupt. Diese große Operation kann in geeigneten Fällen durch das weit weniger invasive endovaskuläre Verfahren ersetzt werden.
Der Einsatz von Prothesen mit Seitenarmen kann als ein sensationeller Fortschritt für den geeigneten Patienten angesehen werden.
Eine gefürchtete Komplikation bei der Ausschaltung der thorakoabdominalen Hauptschlagader ist eine Durchblutungsstörung des Rückenmarkes, die zu einer Lähmung oder Schwächung der Beinmuskulatur führt (Arteria-spinalis-anterior-Syndrom). Diese Komplikation ist bei Einsatz der Stent-Technologie zwar seltener, aber nicht völlig ausgeschaltet.
Es wird daher als vorbeugende und auch therapeutische Maßnahme die Entnahme von Flüssigkeit aus dem Rückenmarksraum empfohlen, um den Druck auf das Rückenmarksgewebe zu senken und dadurch die Durchblutung zu verbessern. Daher wird bei uns routinemäßig möglichst vor dem Eingriff ein sogenannter Spinalis-Katheter eingelegt, wie er auch im Prinzip für die Betäubung der unteren Körperabschnitte (sog. Spinal-Anästhesie) angewendet wird.
Eine Schwierigkeit und Hemmnis für den Einsatz dieser Technologien muss hier einmal Erwähnung finden: Die Kosten für die Sonderanfertigungen dieser Prothesen sind sehr hoch, die reinen Materialkosten liegen um die 30.000,- € und mehr! Die Kostenträger haben daher allerlei Hürden aufgebaut, über die nicht gerne gesprochen wird und die zu erklären jeden Rahmen hier sprengen würde. Dies verlangt uns viel Aufwand ab, den wir Besserem zugute kommen lassen könnten!
Prothese mit Seitenarm für die Innere Beckenschlagader
Einen Sonderfall stellt die Erweiterung der oberen Beckenschlagader (Arteria Iliaca communis) auf
>25 mm dar. Die gemeinsame Beckenarterie teilt sich in einen inneren Ast (A. iliaca interna), der das Becken und über Verästelungen auch die Gesäßmuskulatur versorgt, und einen äußeren Ast, der zum Oberschenkel und Bein führt. Bei Erweiterungen des oberen Anteils hat man die Stent-Prothese von der Aorta beginnend an dem Ursprung der inneren Schlagader vorbei direkt in die äußere Beinarterie geführt und somit die innere Beckenarterie von der Durchblutung ausgeschlossen. Als Folge der Durchblutungsstörung bekamen die allermeisten Patienten Schmerzen beim Gehen oder Treppensteigen in den Gesäßmuskeln oder im Oberschenkel (Becken-Claudikatio).
Für diese Situation haben wir eine kleine Prothese mit Seitenarm entwickelt, die inzwischen in einer zweiten verbesserten Version erfolgreich eingesetzt werden und dadurch die Durchblutung über die innere Beckenarterie erhalten kann.
Die Abbildung unten zeigt die Jahresstatisitik der Klinik bis zu meinem vorübergehenden Ausscheiden.
Man erkennt, dass seit 1994 mit zunehmender Erfahrung und Verbesserung der Prothesen der Anteil der Patienten mit Stent-Prothesen zunimmt bis auf ca 80 %, mit Einführung der Fensterungen und Seitenarme ab 2000 ist eine weitere Zunahme des Anteils endovaskulär Operierter festzustellen.